Leseprobe "Morgen Kinder wird's was geben"

 

Ich hatte keine Idee, was ich sagen sollte.
Hohoho“, brüllte mir der Weihnachtsmann entgegen und für einen Moment war mir, als wüsste ich, wer hinter der breit grinsenden Plastikmaske und dem weißen Rauschebart stecken könnte. Mit energischem Schritt trat er ein und schloss die Tür.
"Wer ist das denn?“, fragte Sibel hinter mir lachend. „Hast du den für uns bestellt? Sag bloß, das ist ein Stripper!“
Die Kälte wich nicht.
Nick?“, fragte ich, aber der Weihnachtsmann schüttelte nur vergnügt den Kopf und brummte in tiefen Tönen: „Fröhliche Weihnachten“.
Nick, hör auf mit dem Scheiß“, sagte ich. Wer sollte auch sonst in diesem albernen Kostüm stecken? Sicher wollte er uns einen Schrecken einjagen, aber jetzt war es auch gut. „Ich kann mich nicht erinnern, dich eingeladen zu ha...“ Der Weihnachtsmann schob mich einfach zur Seite und marschierte ins Wohnzimmer. Nicks Gang war nicht so schwankend. Aber vielleicht lag das an dem Sack, den der mysteriöse Santa auf dem Rücken trug. Von der Größe her, konnte er es schon sein. Unter der roten Mütze mit dem weißen Fellrand war kein einziges Haar zu erkennen. Die muskulöse Statur passte auch, aber herrje, die passte auf viele. Ich folgte dem Fremden benommen. Was sollte das alles?

 

Der Weihnachtsmann trat an das große Panoramafenster im Wohnzimmer. „Schöne Aussicht. So ruhig. Nichts als der liebe Wald.“ Er seufzte, dann drehte er sich zu uns. „Hm, wolltet ihr gerade mit der Bescherung anfangen? Da komme ich ja genau richtig.“ Polternd setzte er seinen Sack auf dem Boden ab. Ich konnte die Stimme noch immer nicht einordnen. Er verstellte sie zu stark.
Henrike baute sich breitbeinig vor ihm auf. „Wer hat dich denn bestellt? Soll das eine Überraschung sein, Sally?“
Ich schüttelte den Kopf. Henrike versuchte, dem Weihnachtsmann die Mütze vom Kopf zu ziehen. Blitzschnell umklammerte er ihr Handgelenk mit seinen schwarz behandschuhten Fingern. Überrascht schrie sie auf.
"Pfoten weg“, presste er hervor. Wessen Stimme war das bloß? Ihren Arm noch immer umklammernd drückte er sie auf einen Stuhl nieder. „Schön brav sein, du willst doch ins goldene Buch, oder?“ Er ließ sie los und Henrike rieb die rote Stelle.
Arsch“, zischte sie.

Also“, fing ich an. „Ich hab keine Ahnung, wer du bist und was du willst. Aber du bist definitiv nicht eingeladen. Das ist eine reine Mädelsparty. Verschwinde!“

Er antwortete mit einem grollenden Lachen und hielt sich den Bauch, der unter dem langen roten Mantel wie ein Kissen aussah.


Nix da“, sagte er, ließ sich in den Sessel neben dem Weihnachtsbaum fallen und begann, seinen Sack aufzuschnüren.  

Na ja, wenn du Geschenke mitgebracht hast, kannst du die ja verteilen, dann bekommst du noch einen schönen Eierlikör und dann ist gut, ja?“, versuchte es Sibel auf die freundliche Art. Der Weihnachtsmann nickte bestätigend. Dann fuhr seine Hand in den Sack und holte die erste Gabe heraus. Sie war nicht verpackt. Sie war lang, hölzern und er hielt sie fest am Griff. Ein Baseballschläger.

 

 

 

 

 

 

Leseprobe "Nur der Mond sah zu"

 

Es ging so schnell … Sein Gesicht war wutverzerrt, Spucke tropfte in ihr Gesicht. Als sei es Säure schloss sie die Augen. Sein Mund saugte sich an ihrem Hals fest. Für einen winzigen Augenblick spürte sie seine Unsicherheit, als wisse er nicht, was als nächstes geschehen würde. Sie riss die Knie nach oben, so fest es ging. Und sie traf.

Stöhnend ließ er sich zur Seite kippen. Mit einem Satz war sie auf den Füßen. Nichts wie weg! Sie rannte los, versuchte die spitzen Steinchen und Hölzer auf dem Waldboden zu ignorieren, aber sie kam nur langsam voran. Buchenblätter streiften ihr Gesicht, kleine Widerhaken klammerten sich an ihren Hals. Wie dunkel es hier war! Sie hatte keine Ahnung, in welche Richtung sie laufen sollte. Die Stadt lag irgendwo in der Verlängerung der Landstraße, aber war es nicht kürzer, wenn sie durch den Wald rannte? Das Seitenstechen wurde immer heftiger. Autsch, irgendetwas pikste in ihre Ferse. Sie kauerte sich hinter einen Busch, pulte etwas Spitzes aus ihrem Fuß. Etwas Blut trat aus. War es still? Ein wenig Wind war aufgekommen. Rief da jemand ihren Namen? Das Rufen kam näher, sie musste weiter. Sie sah einen Lichtschein. Mist, warum hatte sie ihr Handy nicht eingesammelt? Sie ging gebückt weiter, versuchte, von Busch zu Busch zu hasten. Immer wieder sah sie über die Schulter. Brennnesseln quälten ihre Waden, brannten wie Feuer. Nicht anhalten! Der Lichtschein war noch da, verfolgte sie. Bestimmt die Taschenlampen-App eines Handys. Dicht neben ihr streifte das Licht einen Baum. Sie musste schneller sein. Sie stieß mit der Schulter gegen einen Stamm. Sie presste die Hand vor den Mund, um nicht laut zu fluchen. Wo war der Lichtschein? Unter ihren Füßen totes Laub. Etwas Weiches darin. Sie zog den Fuß schnell hoch, sie wollte sich nicht vorstellen, was hier alles herumlag. Die Bewegung wirbelte die Blätter auf. Da lag etwas. Sie sprang zurück, schrie auf. Ein Knacken … sie fuhr herum, ein Schatten. Der fortsprang. Sie atmete heftig. Ein Reh! Sie hatte ein Reh erschreckt. Sie lehnte sich an den Baumstamm, presste die Finger an die raue Rinde, versuchte, sich zu beruhigen. Wischte ihren Fuß ab, versuchte das Bild des Tierkadavers zu verdrängen. Bestimmt war es nur vermodertes Laub vom Regen der letzten Wochen. Ganz bestimmt. Nur der Geruch … Der Lichtschein traf die Blätter über ihrem Kopf. Sie musste weiter! Sie preschte vorwärts, duckte sich, spähte nach hinten, wich gerade noch einem tief hängendem Ast aus und dann … ging ihr Schritt ins Leere. Keine Blätter, kein Busch, nichts. Sie ruderte mit den Armen, der Fall wollte kein Ende nehmen. Dann harter Boden. Als sie aufschlug, fuhr ein Schmerz durch Oberarm und Schulter. Sie blieb liegen. Wo war sie? Vorsichtig hob sie den Kopf. Über ihr, in einer Lücke zwischen den Bäumen, stand der Mond. Als ob er sie hämisch angrinste. Selbst schuld, sagte er. Sie richtete sich auf. Die Grube war nicht allzu groß und sicher nicht tiefer als zwei Meter. Sie macht einen Schritt auf den Erdwall zu, griff nach einer Wurzel, die aus der Erde ragte. Ihre Finger berührten sie fast. Grell wie ein Blitz durchfuhr sie der Schmerz von unten nach oben, und sie krümmte sich wimmernd am Grund der Grube.

 

 

 

Leseprobe "Die dunkle Seite des Spiels"

 

Hannes gab den Henker Johann Buchner. Und er hatte sich gut vorbereitet. Auf dem Holztisch, dessen verwitterter Zustand mich erst recht ins Mittelalter versetzte, stand schon etwas, das man mit wenig Phantasie als Daumenschraube erkennen konnte. In einem Referat hatte Hannes vor ein paar Wochen die Abläufe von Hexenprozessen vorgestellt. Ich wusste genau, was eine echte Hexe jetzt erwartet hätte: Sie wäre entkleidet worden, man hätte ihr die Haare abgeschnitten und ihr ein Hexenhemd angezogen. Sie wäre am ganzen Körper nach Hexenmalen abgesucht worden – die man mit spitzen Nadeln aufgestochen hätte, um zu sehen, ob sie auch bluteten. Kam kein Blut, war das ein Beweis für ihren Pakt mit dem Teufel. Kam Blut – Pech für sie. Und das war erst der Anfang.
Gestehe sie“, forderte mich Ratsherr Onophrius Lieber auf, und man konnte Lars ansehen, wie stolz er auf seine Rolle und den lange gesuchten Namen war. Ich lachte ihm ins Gesicht.
Ich habe nichts zu gestehen. Ich bin ein geziemlich Weib, das Gott den ganzen Tag lobet und preiset.“
 „Eine infame Lüge“, schrie der Priester dazwischen. „Sie ist gesehen worden, wie sie den Mond anheult mit einem Gleichgesinnten! Auf einem Hexenbesen ist sie geritten.“
Genau! Sage sie uns, wer ihre Komplizen sind“, hetzte Onophrius Lieber. Franz, der als Henkershelfer auftrat, warf mir einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. „Mach doch“, konnte es heißen. Oder „Wehe!“.
Niemals“, schrie ich und ich spürte, wie mich eine Welle der Entrüstung durchflutete. Was mussten diese armen Menschen vor Jahrhunderten gefühlt haben? Wieviel Hunderttausende Frauen und auch Männer waren dieser Willkür ausgeliefert gewesen, ohne sich retten zu können? Nicht mal der normalen Gesetzgebung ihrer Zeit waren Hexenprozesse unterworfen, hatten wir gelernt. Und meist waren die Opfer nicht angeklagt worden, weil sie tatsächlich etwas angestellt hatten, sondern aus Neid, Missgunst, Hass und Abscheu ihrer Mitmenschen. Widerlich! In manchen Gebieten Deutschlands hatte es sogar bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Hexenprozesse gegeben.
Dann werden wir dich jetzt peinlich befragen müssen“, konstatierte Onophrius Lieber zufrieden. Auf sein Zeichen hin packte mich Franz und schleppte mich zum Tisch. Ich erschrak kurz, dann sah ich sein Zwinkern und entspannte mich wieder. Er drückte mich auf den wackligen Stuhl, nahm meine Hand und schob meinen linken Daumen in die sehr kunstvoll nachgebaute Daumenschraube.
Hat mein Opa für mich gemacht. Der ist Feinmechaniker. Der kann auch schweißen und so Sachen“ hörte ich Hannes stolz und vernehmlich flüstern. Immerhin tat Franz nur so, als würde er sie zuschrauben. Und ich tat, als hätte ich außerordentliche Schmerzen. Dennoch blieb ich standhaft.
Nein, nein“, schrie ich theatralisch. „Ich habe nichts getan. Gott ist mein Zeuge!“ Das war Maries Stichwort. Sie stürzte auf Franz zu und zog ihn unsanft weg. Der Stuhl unter ihm gab nach und er landete auf dem Fußboden.
Die Jungfer sagt die Wahrheit, lasst sie frei!“, forderte die Gräfin Apolonia von Ersingen.
Ergreift sie“, schrie der Ratsherr. „Die Weibsbilder stecken doch unter einer Decke.“ Hannes und Tom stürzten sich auf sie.
Ey, das ist doch Kacke!“, schrie Marie nun. „Das war nicht abgemacht. Ich soll sie doch befreien!“
Aber doch nicht jetzt schon“, sagte Lars. „Wir müssen sie doch erst noch richtig foltern.“

 

Bettina Brömme